Liebe Mitglieder des Fördervereins St. Nikolai,

in diesen Tagen erfreuen uns wieder geschmückte Weihnachtsbäume aller Orten. Und natürlich werden auch in diesem Jahr die Kerzen eines Weihnachtsbaumes das Mittelschiff der Nikolaikirche festlich erstrahlen lassen. Was hat das eigentlich auf sich mit diesem Brauch?

Der Heiligabend ist der letzte Tag der Adventszeit und der Gedenktag Adams und Evas. Deshalb fand im Mittelalter während der nächtlichen Gottesdienste zum Christfest vor dem Krippenspiel ein „Paradiesspiel“ statt. Im Mittelpunkt stand die biblische Geschichte von Adam und Eva und dem „Baum der Erkenntnis“. Dafür wurde eine Tanne mit Äpfeln geschmückt, später auch mit Engelshaar und vergoldeten Nüssen.

Das Paradiesspiel war so etwas wie die Vorgeschichte: Adam und Eva wollten sein wie Gott. Aber seit sie den Garten Eden verlassen mussten, waren die Menschen von Gott getrennt. Unmittelbar nach der Vertreibung aus dem Paradies erzählt die Bibel vom ersten Brudermord. Kain erschlägt seinen Bruder Abel. Und spätestens jetzt wird die Vorgeschichte zu unserer Geschichte. Das Leid der Menschen in der Ukraine, die Qualen der Opfer der Anschläge der Hamas, der Ermordeten, an Leib und Seele Verletzten, der Verschleppten und ihrer Angehörigen, der Zivilisten im Gazastreifen, die nicht wissen wohin in diesem Fiasko – Hass und Gewalt nehmen kein Ende. Und wieviel Leid wird verursacht in unserer nächsten Umgebung, hinter ganz normalen Wohnungstüren. Männer gegen Frauen, Frauen gegen Männer, und oftmals müssen es die Kinder mitansehen und erleiden.

Die Geburt Jesu hebt die Trennung von Gott und Mensch, von der die Bibel in ihren ersten Kapiteln erzählt, auf. Gott wird Mensch und kommt uns Menschen ganz nah. In Jesus verkündet er uns seine Friedensbotschaft, ein einziger leidenschaftlicher Appell gegen Hass, gegen Ausgrenzung, gegen Gewalt. „Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis …“ heißt es in einem Weihnachtslied. Aber wie können wir diese Friedensbotschaft Gestalt werden lassen? Uns allen ist bewusst, dass wir keine Möglichkeit haben, direkt auf die großen Konflikte Einfluss zu nehmen. Aber wir können im ganz Kleinen beginnen.

Dazu eine wirklich kleine Begebenheit in der Fußgängerzone von Stralsund. Es ist mitten am Tage, viele Menschen sind unterwegs, etliche schon mit dem Einkauf von Weihnachtsgeschenken beschäftigt. Ein paar Schritte vor mir versucht ein Radfahrer sich durch die Menschenmenge zu schlängeln. Er scheint aus Afrika zu stammen, vielleicht 20 Jahre alt. Ich schaue ihm amüsiert zu, wie er im Schritttempo mal links, mal rechts versucht, an den Passanten vorbeizukommen, vor allem angestrengt damit beschäftigt, bei diesem Tempo nicht vom Rad zu fallen. Dann bemerke ich aber, dass die meisten Fußgänger ihn ärgerlich fixieren, den Kopf schütteln, manche stellen sich ihm bewusst in den Weg. Keiner jedoch spricht ihn an. Ich mache ein paar schnelle Schritte, tippe ihm von hinten auf die Schulter. Verdutzt schaut er mich an. Schnell war klar, dass er kein Wort Deutsch beherrschte, also sage ich ihm freundlich in Englisch, dass er hier nicht radfahren dürfe. Sofort sprang er vom Rad, entschuldigte sich mehrmals und schob neben mir sein Rad bis zu seinem Ziel. Er hat es einfach nicht gewusst! Die Bedeutung der Verkehrsschilder gehört ja wahrlich nicht zu dem, was geflüchtete Menschen bei uns in den ersten Tagen und Wochen in Deutschland lernen.

Ich war verdutzt. Durch eine so kleine Maßnahme war Spannung herausgenommen, Ärger vermieden. Für mich war es ein Beispiel, wie wir mit den kleinsten Dingen, so unbedeutend sie auch zu sein scheinen, etwas beitragen können zu dem großen Frieden, den wir erhoffen und dessen Zusage wir an jedem Weihnachtsfest aufs Neue vernehmen.
Das Paradiesspiel geriet in Vergessenheit, der Baum blieb. Er zog in die Wohnzimmer ein, aus Äpfeln wurden meist Kugeln, aus Engelshaar Lametta. Und noch Anfang des 20. Jahrhunderts gehörten in Norddeutschland Adam, Eva und die Schlange zum traditionellen Christbaumschmuck.
Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Sie diese Erfahrung machen können, für die die Heilige Nacht steht: dass Getrenntes wieder zusammenkommt und dass auf ausgetretenen Pfaden etwas Neues aufbricht. Dass sich die Tür zum Paradies einen Spalt öffnet und weihnachtliches Licht ins Leben fällt. In das private Leben, in die Familie, aber auch in unsere gesellschaftlichen Strukturen. Und in das Leben der unzähligen Menschen weltweit, die unter Hass und Gewalt leiden.

Unser Förderverein blickt auf ein bewegtes und bewegendes Jahr 2023 zurück. Mit viel Bewegung der Teilnehmenden waren die beiden Führungen über die Gewölbeböden und durch die Türme von St. Nikolai verbunden. Ein herzliches Dankeschön nochmals an den Architekten Burkhardt Eriksson für seinen Einsatz. In den Vorträgen bewegten wir uns in diesem Jahr über Stralsund hinaus. Im Vortrag von Frau Dr. Marianne Subklew-Jeutner ging es um den Pfarrer Eckart Giebeler, einen Pfarrer „zwischen Kirche, Staat und Stasi“. Giebeler war in Brandenburg und kurzzeitig auch in Mecklenburg als hauptamtlicher Gefängnisseelsorger im Staatsdienst tätig. Der Journalist und Architekturhistoriker Nikolaus Bernau berichtete uns in einem bewegenden Vortrag über die Situation der Kulturstätten in der Ukraine während des andauernden Krieges. Und nach unserer Mitgliederversammlung bewegten wir uns nach Greifswald zur Bibliothek des Geistlichen Ministeriums mit ihren Buchschätzen und nach Behrenhoff zum Eingang zur Hölle.

Wenig Bewegung ist leider bisher in die Sanierung der beiden Türme von St. Nikolai gekommen. Erwartungsgemäß erfordert die Frage der Finanzierung sehr viele Gespräche und Anträge und eben auch Geduld. Wir sind aber zuversichtlich, dass der erste Bauabschnitt mit Hilfe der Städtebaufördermittel der Stadt Stralsund und der Mittel unseres Fördervereins im Jahr 2024 beginnen kann. Liebe Mitglieder, bitte unterstützen Sie uns weiterhin so treu in diesem gemeinsamen Bemühen.

Im Namen des Vorstands mit den besten Wünschen für ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein glückliches, gesundes neues Jahr

Ihr